
Hintergrund
3 Dinge, die ich vom Manifest der Designerin des Jahres mitnehme
von Pia Seidel
Samer Selbak ist Designer. Er erschafft Objekte aus einem lange vergessenen Naturprodukt: Luffa. Im Interview erinnert er sich, wie er die Pflanze schon im Garten seiner Grosseltern bewundert hatte.
Samer Selbak, der in Schefar'am im Nordbezirk Israels östlich von Haifa aufwuchs, beschäftigte sich schon lange mit seinen Wurzeln. Doch erst als er für sein Produktdesign-Studium nach Paris zog, begann er, tiefer zu graben. Weil er so weit weg von seiner Heimat lebte, wollte er noch mehr in die verschiedenen Traditionen seiner Kultur eintauchen und ihre Schönheit schätzen lernen. Dabei kam ihm ein Objekt in den Sinn, das es einst in jedem palästinensischen Haushalt gab: der Luffaschwamm. Er wird aus dem getrockneten Fruchtfleisch der Luffagurke hergestellt und eignet sich zum Putzen sowie für die Körperpflege.
Heute ist der Luffaschwamm weitgehend von Schwämmen aus industrieller Produktion verdrängt worden. Um herauszufinden, warum die Menschen aufhörten, den natürlichen Schwamm zu benutzen, startete der 31-Jährige das «Luffa Project». Er beschloss, die Vorteile der Naturfaser zu ergründen und diese für seine Entwürfe zu nutzen. Weil er nur Materialien verwenden möchte, die keinen Abfall oder Probleme für die Umwelt verursachen.
Was hat dich dazu bewegt, Produktdesign zu studieren?
Samer Selbak: Ich bin mit vielen verschiedenen Kunstformen aufgewachsen: Malen, Zeichnen, Fotografieren, Tanzen und Musizieren. Deshalb wollte ich etwas machen, bei dem ich dieselbe Vielfalt in meiner Arbeit spüre und das sich ständig wandelt. Als Designer kann ich laufend über Themen sprechen, auf die ich aufmerksam werde – ohne nur an ein einziges Medium gebunden zu sein.
Du hast dein Studium vor mehr als einem Jahr in Paris an der Kunsthochschule ENSAD abgeschlossen. Wie ging es für dich danach weiter?
Für mich war es sehr wichtig, vom ersten Moment an zu versuchen, gehört zu werden. Ich hatte das Gefühl, dass meine eigenen Ideen untergehen könnten, wenn ich für ein anderes Designstudio arbeiten würde. Deshalb machte ich mich sofort selbstständig.
Mit dem «Luffa-Project» hast du bereits während der Studienzeit angefangen. Worum geht es darin?
Die Luffa-Pflanze kenne ich seit meiner Kindheit. Ich erinnere mich so gut daran, wie sie im Garten meiner Grosseltern wuchs. Ihre Früchte wirkten wie von einem anderen Planeten. Sie kamen mir riesig vor. Nicht nur, weil ich so klein war. Auch heute sind sie grösser als die Früchte der meisten anderen Bäume. Wenn sie trocknen, haben sie eine Glockenform, die im Innern hohl ist und aus zahlreichen bereits verwobenen Fasern besteht.
Wolltest du wegen dieser besonderen Anziehungskraft, die die Pflanze auf dich als Kind hatte, auch als Erwachsener mit Luffa arbeiten?
Ja, die Pflanze fasziniert mich. Ich wollte einen Weg finden, sie und ihre Naturfasern neu zu interpretieren. Anfangs fiel es mir jedoch schwer, den Badeschwamm aus meinem Kopf zu bekommen und mir neue Verwendungszwecke oder Erscheinungsformen vorzustellen.
Wie hast du es schliesslich doch geschafft?
Ich hörte auf, die Pflanze aus der Perspektive eines gross gewordenen Kindes zu sehen. Stattdessen betrachtete ich das natürliche Material als ein Gestalter und erforschte es wie ein Wissenschaftler. Mir wurde klar, dass ich Design als Werkzeug nutzen kann, um aus Luffa etwas Neues zu machen – ohne dabei die natürliche Beschaffenheit zu vernachlässigen. Als ich daran dachte, es zu einzufärben, kam mir eine alte Tradition meiner christlich-palästinensischen Gemeinschaft in den Sinn: das Färben von Ostereiern. Wir verwendeten meistens Zwiebelschalen oder einheimische Blumen. Dieses Verfahren wendete ich auf Luffa an, um es in einem neuen Licht zu sehen.
Mir wurde klar, dass ich Design als Werkzeug nutzen kann, um aus Luffa etwas Neues zu machen.
Was hast du später aus dem gefärbten Material gemacht?
Neben der Farbe wollte ich auch die besondere Textur hervorheben. Deshalb kam ich auf die Idee, eine Lampe und einen Raumtrenner zu entwerfen. Bei beidem ist das Spiel mit Transparenz, Farbe sowie Licht und Schatten möglich.
Du hast dich dazu entschieden, ein natürliches Material mit Stahl zu kombinieren. Wie fühlt sich das im Vergleich zu Luffa an?
An Metall schätze ich, dass es glänzt, robust ist und lange hält. Es gibt den Luffa-Objekten die nötige Schwere und eine neue Ästhetik, Haltung und Gewicht und betont die weiche und erdige Textur.
Woher beziehst du heute Luffa, immer noch aus dem Garten deiner Grosseltern?
Leider nein. Die erste Luffa-Pflanze, die ich für meine Entwürfe einsetzte, kam von einem lokalen Geschäft in meiner Heimatstadt. Die Besitzerin war sehr überrascht und wollte wissen, warum ich es brauchte. Auch sie hatte festgestellt, dass der Schwamm von der Bildfläche verschwunden war und nur noch von der alten Generation gekauft wurde.
Warum ist das so?
Ich glaube, dass sich viele Menschen in meiner Kultur unterdrückt fühlten und sich als Reaktion darauf dem Westen zuwendeten. Sie griffen lieber zum Plastikschwamm statt dem altmodischen Luffaschwamm, der seinen Ursprung im Osten hat. Heute scheint jedoch wieder ein Wechsel stattzufinden. Ich beobachte, dass sich meine Generation in Palästina nicht mehr für alte Traditionen schämt. Und sogar der Westen blickt mittlerweile in den Osten, um mehr über unsere Geschichte zu erfahren und Inspiration zu finden.
Gibt es noch andere Kulturen, die die Luffa-Pflanzen verwenden?
Ja, sie ist sehr beliebt in Ägypten und wurde dort entdeckt – zumindest verweist ihr voller Name «Luffa aegyptiaca» darauf. Auch in Asien wird die Pflanze für Schwämme verwendet. Es ist aber üblicher, ihre Früchte zu essen, solange sie noch jung sind. In China isst man sie zum Beispiel mit einer Nudelsuppe. Ihr Geschmack ähnelt dem eines Kürbisses oder dem einer Gurke.
Könntest du Luffa auch in Paris anbauen?
Grundsätzlich schon. Ich denke aber, dass die Pflanze im Süden Frankreichs besser wachsen würde. Es gab mal einen Bauern, der Luffa in der Nähe von Bordeaux angebaut hat. Ich weiss allerdings nicht, warum er damit aufgehört hat. Vielleicht, weil die Pflanze hierzulande so unbekannt ist. Wenn du es jedoch in Zürich versuchen möchtest, benötigst du lediglich ausreichend Wasser und mindestens sechs Monate Sonne und Wärme. Es müssen nicht unbedingt 38 Grad wie in Palästina sein.
Welche Eigenschaften hat die getrocknete Frucht?
Sie kann viel Wasser aufnehmen und eignet sich daher perfekt als Schwamm. Wenn sie nass wird, sind ihre Fasern weich. Im trockenen Zustand sind die Fasern hingegen steif, grob und leicht. Das Magischste an ihr ist jedoch, dass sie sich eine Form merken kann. Wenn du die Hülle im trockenen Zustand zusammendrückst und dabei Hitze anwendest, wird sie kompakt und bleibt so. Es sei denn, du machst sie nass. Dann weicht sie in ihre ursprüngliche Form zurück.
Hat Luffa als Material auch Schwächen?
Wenn es trocken ist, können die Fasern reissen. Deshalb eignet es sich nicht, um Stoff oder Bezug für Möbel aus ihr zu machen. Genau das ist die Schönheit des natürlichen Charakters von Luffa. Industriematerialien wie Kunststoff sind zwar vielseitig und können für fast alles verwendet werden. Aber ich finde es langweilig, ein Material für alle möglichen Objekte zu verwenden. Luffa lehrt mich, Grenzen zu akzeptieren und Chancen zu feiern. Noch nie zuvor ist es mir gelungen, eine so innige Beziehung zu einer Materie herzustellen.
Luffa lehrt mich, Grenzen zu akzeptieren und Chancen zu feiern.
Wenn du Luffa mit anderen natürlichen Materialien vergleichst, welchen würde es ähneln?
Es teilt viele Eigenschaften mit Hanf, Baumwolle oder Rattan, aber die Art und Weise, wie es angebaut wird, unterscheidet sich sehr. Luffa braucht beispielsweise zum Wachsen viel weniger Wasser, Pflege und Platz als Baumwolle. Sie ist eine Rebe und klettert in die Höhe. Das erleichtert den Anbau auf kleinstem Raum.
Welche ökologischen Auswirkungen hätte ein möglicher Luffa-Hype?
Das hängt davon ab, wo sie angebaut wird. In Ägypten wird sie normalerweise an Flussufern gezüchtet, damit sie nicht künstlich bewässert werden muss. Nachdem die Reben ausgetrocknet sind, werden die Hüllen von Hand gesammelt. Dann legt man sie in den Fluss, damit sie weich sind und die oberste Hautschicht leichter abgeschält werden kann. Es wird also stets mit dem vorhandenen Wasser gearbeitet. Ausserdem verarbeitet man Luffa von Hand. Das erfordert nur körperliche Energie. Wenn wir diesen Prozess beibehalten können und Luffa nicht zum Industriewerkstoff machen, ist es ein sehr umweltfreundliches Material.
Wie geht es mit dem «Luffa-Project» weiter?
Die Lampe sowie den Paravent werde ich weiterhin für interessierte Privatkunden und Galerien herstellen, aber ich entdecke gerade einen neuen Teil des Projekts, den ich «Luffa-Keramik» («Luffa Ceramics») nenne. Hierfür mische ich Luffa statt mit Stahl mit Ton. Das Ergebnis hat ein fossilähnliches Aussehen, da die Textur von Luffa noch sichtbar ist. Es fühlt sich fast so an, als würde ich das einst weiche Material verewigen und ihm gleichzeitig ein neues Leben einhauchen.
Was sind das für Menschen, die ständig auf der Suche nach besseren Designlösungen sind? Die einen neuen Stuhl oder Tisch entwerfen, obwohl es das schon zigtausendfach gibt? In dieser Serie stelle ich dir solche Menschen und ihre Leitmotive vor. Folge mir, um den nächsten Beitrag auf dem Schirm zu haben.
Titelfoto: Pia SeidelWie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.