
Kritik
«Hell is Us» im Test: Auf Familiensuche im Bürgerkrieg
von Simon Balissat

«Europa Universalis 5» simuliert 500 Jahre Weltgeschehen. Das riesige Strategiespiel ist komplex, verbuggt und macht extrem süchtig. Was ich genau tue, weiss ich noch immer nicht.
Ein Videogame zu testen, ist meistens recht einfach. Spiel zocken, Gedanken aufschreiben, positive und negative Punkte herausstreichen, einordnen, fertig. Dachte ich bisher. In «Europa Universalis 5» habe ich nun meinen Meister gefunden.
Selbst nach fast zwei Wochen zocken verstehe ich von den meisten Features nur wenig. Keine 100 Jahre sind in meinem Spiel ins virtuelle Land gestrichen, womit ich gerade mal ein Fünftel der simulierten Zeit erreicht habe. Winston Churchill hat 1942 gesagt: «Dies ist nicht das Ende. Es ist nicht einmal der Anfang vom Ende. Aber es ist vielleicht das Ende des Anfangs». Unter dieser Prämisse schreibe ich diesen Test.
«Europa Universalis 5» ist ein gigantisches Strategiespiel, das die Welt während 500 Jahren zwischen 1337 und 1837 simuliert. Nicht in Monaten, Wochen oder Tagen, sondern Stunde für Stunde. Die ganze Welt. Jedes einzelne Land, das 1337 existiert hat, kann ich übernehmen.
Das Ziel? Mache ich mir selbst. Historische Ereignisse lenken mich zwar in gewisse Richtungen, ich bin aber nie dazu verpflichtet, diese Richtung auch einzuschlagen. Mit den Osmanen muss ich keinesfalls den Balkan erobern. Als Schwyz muss ich keine Eidgenossenschaft gründen. Der 100 Jährige Krieg kann als England zum zehntägigen Scharmützel verkommen. Das alles liegt in meiner Hand, oder besser gesagt in meinen Tabellen.
Am einfachsten erkläre ich das an einem Beispiel. Ich übernehme den Stadtstaat Zürich im Jahr 1337. Die Stadt ist nicht in die Eidgenossenschaft eingegliedert und daher recht alleine. Umgeben vom Goliath Österreich, habe ich es zunächst auf das benachbarte Toggenburg abgesehen. Ich erkläre Toggenburg zum Rivalen, beleidige sie als Kuhmist und installiere zusätzlich Spione, die mir einen triftigen Kriegsgrund liefern.
In einer Schlacht ringe ich das Toggenburger Land ab. Als nächstes gehe ich ein Bündnis mit Österreich ein, um mein Gebiet mithilfe des Goliaths auf Schwyz zu erweitern. Dachte ich mir. Leider gurkt es die Österreicher an, ihre Truppen aus Wien zu schicken, weshalb der Krieg in einem mittleren Desaster endet. Dank ein paar Goldstücken kann ich einen Friedensvertrag mit Schwyz unterzeichnen, ohne Ländereien abgeben zu müssen. Glück gehabt.
Was nun? Meine Rohstoffe Weizen und Wolle bringen kaum Gulden ein, umgeben von den Grossreichen Österreich und Böhmen (das Österreich im Westen den Aargau abgeluchst hat) muss ich mich neu orientieren. Also versuche ich, mich vom Markt in Nürnberg zu lösen. Dort kaufen und verkaufen meine Händler nämlich bis jetzt ihre Waren. Das kommt im Mittelalter einer Weltreise gleich, entsprechend wenig Einfluss habe ich dort. Warum nicht meinen eigenen Marktplatz eröffnen?
Diese Episode zeigt, wie komplex die Mechaniken von «Europa Universalis 5» sind. Als blutiger Anfänger lerne ich mit jeder Entscheidung und jeder Aktion hinzu. Die Übersicht zu behalten und Konsequenzen zu antizipieren sind Schlüssel zum Erfolg und Grund für Frust zugleich. Zum Glück lässt sich vieles automatisieren. Den komplexen Handel von Waren habe ich eine Stunde lang versucht zu begreifen und dann frustriert aufgegeben.
Genauso hebt der Computer meine Soldaten aus, weil ich dafür keine Muse habe. Andererseits behalte ich die genaue Kontrolle darüber, was ich erforsche und welche Gebäude ich baue. Forschung und Stadtentwicklung liegen mir am Herzen. Und in ein paar Monaten wird es dann auf Youtube schon ein Tutorial geben, das mir den Handel so einfach erklärt, dass auch ich ihn begreife.
Was ich nicht einschätzen kann, ist, wie tief das Spiel nach mehreren hundert Stunden Spielzeit noch ist. Ich bin in der Verliebtheitsphase, alles ist neu und aufregend und ich will alles ausprobieren (keine sexuelle Anspielung). Das könnte sich nach mehreren Kampagnen ändern und zum Alltagstrott werden. Aktuell bin ich noch total begeistert, wenn mir ein Pop-Up mitteilt, dass ich meinen längst verstorbenen ersten Bürgermeister heilig sprechen darf.
Ich bin, frei nach Churchill, zum Glück erst am «Ende des Anfangs».
«Europa Universalis 5» ist ab dem 4. November erhältlich – für PC. Meine Version wurde mir freundlicherweise von Paradox Interactive zur Verfügung gestellt.
Pro
Contra
Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.
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Wie bei solch opulenten Strategiespielen üblich, spielt sich fast alles in Menüs und Untermenüs ab. Auf einer Landkarte kann ich mir diverse Informationen zu meinem Land einblenden lassen: Welche Bodenschätze hat mein Reich? Wie gut erschlossen sind meine Provinzen? Wie ist das Wetter? Danach optimiere ich in schier endlosen Tabellen, welche grob in Themenblöcke wie «Diplomatie», «Wirtschaft», «Produktion» oder «Militär» unterteilt sind. Zwischen Landkarte und Tabellen wechsle ich, als wäre ich Sachbearbeiter beim Bundesamt für Landestopographie.

Nach ein paar Jahren habe ich genug Gold, um Zürich zum neuen Trading-Hub zu machen. Jetzt handeln auch alle umliegenden Länder über diesen Marktplatz und ich verdiene immer schön mit. Bald kommt die Stadt an ihre Grenzen, ich will sie zur Grossstadt ausbauen. Dass das viel Geld kostet, ist klar. Was ich im Kleingedruckten nicht gelesen habe: Für den Ausbau brauche ich neben 1200 Gulden auch eine Bevölkerung von über 30 000 «Pops». So heissen die Menschen in «Europa Universalis 5». Gut, dann versuche ich mit meinem Minister, die Migration in die Stadt Zürich zu fördern, aber irgendwie will mein Standortmarketing nicht fruchten. Beim Durchklicken der Gesetze fällt mir auf, dass meine Grenzen für Migranten geschlossen sind. Aber weshalb? Achso!
Beim Ausbruch der Pest hatte ich das fünfzig Jahre zuvor in Auftrag gegeben, um meine Pops zu schützen. Gut, dann Grenzen auf und direkt in die nächsten Probleme laufen: Das Parlament hat die Änderung nicht bewilligt, die Stabilität im Land leidet. Es kommt noch schlimmer: Die zugezogenen Menschen aus Franken, Österreich oder Böhmen vertragen sich so gar nicht mit der Goldküste-Schickeria in Zürich. Ein anderer Minister wird zum Integrationsbeauftragten und gleicht die Neuzuzüger unserer Kulturgruppe an. Welche Mittel er dazu nutzt, ist nicht ersichtlich. Sprachkurse und Integrationsunterricht dürften es allerdings nicht sein. Mir ist es recht, denn ich mache Zürich endlich zu dem, was es schon immer sein wollte: zur Grossstadt!


Dass so ein gigantisches Spiel auch einige Bugs und Macken aufweist, liegt auf der Hand. In der deutschen Übersetzung sind plötzlich manche Texte auf Englisch. Manchmal fehlen Wörter und Verweise ganz. Zudem ist die Performance vor allem auf der dreidimensionalen Karte und auf der schnellsten Zeitstufe, wo die Tage innert Sekunden vorbeifliegen, unterirdisch. Hier müssen die Entwickler noch deutlich nachbessern. Schon «Victoria 3» hatte zum Launch ähnliche Probleme, mir scheinen sie bei Europa Universalis weniger frappant.

