
Hintergrund
Einmal wie Daniel Düsentrieb sein: Wenn Kinder erfinderisch werden
von Michael Restin

Kennst du das? Die Berge an zu kleiner Kinderkleidung türmen sich wie eine Sisyphus-Aufgabe immer wieder neu auf. Mein Tipp: Innehalten, in Erinnerungen schwelgen, laut heulen – und dann loslassen.
Da habe ich mal einen Samstagnachmittag sturmfrei. Der ideale Moment, denke ich, um endlich diese Säcke mit zu klein gewordener Kinderkleidung auszumisten. Über die stolpere ich schon seit Wochen, wenn ich den Flur betrete. Stehen ja eh nur im Weg rum.
Und dann fange ich an, Stück für Stück herauszunehmen. Falte die winzigen Kleider auseinander. Und falte sie wieder zusammen. Sortiere nach Grössen und nach Zustand und mache Stapel mit kleinen Hosen, kleinen T-Shirts, kleinen Pullis …
Bis dahin: Ab in den Vakuumierbeutel mit euch süssen, kleinen Kinderkleidern. Ich wische meine Tränen weg und fühle mich aufgeräumt. Äusserlich sowieso – endlich sind die sperrigen Kleidersäcke weg. Aber auch innerlich. Ich sollte mir viel mehr Zeit nehmen, in Erinnerungen zu versinken und haltlos zu heulen, denke ich gerade. Da klingelt es auch schon an der Haustür, gefolgt von einem lauten und lebendigen Rufen: «Hallo Mama, wir sind wieder da!»
Was machst du mit den Bergen an zu klein gewordener Kinderkleidung?
Eigentlich bin ich Journalistin, in den letzten Jahren aber auch vermehrt als Sandkuchenbäckerin, Familienhund-Trainerin und Bagger-Expertin tätig. Mir geht das Herz auf, wenn meine Kinder vor Freude Tränen lachen und abends selig nebeneinander einschlafen. Dank ihnen finde ich täglich Inspiration zum Schreiben – und kenne nun auch den Unterschied zwischen Radlader, Asphaltfertiger und Planierraupe.
Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.
Alle anzeigenOh, wie mein Kind dieses T-Shirt am Strand des Lago Maggiore trug. Und wie knuddelig mein anderes Kind in diesem Lieblingspulli mit dem Hund vorne drauf durch die Wohnung wackelte. Da die Jeans mit den Hosenträgern, die ihre Uroma ihnen schenkte, und dort das Jäckchen, das der Onkel aus Amerika ihnen mitbrachte … Wie sie in diesen rotblau gestreiften Shirts die ersten reifen Heidelbeeren pflückten und gar nicht mehr aufhörten zu essen. Und dann steigen die ersten Tränen auf. Oh Gott, wie klein meine beiden Jungs doch gerade erst noch gewesen sind.

Dabei finde ich ja jeden Schritt, den die Kleinen in Richtung Selbstständigkeit machen, grossartig. Weil ich mich freue, zu sehen, wie sie wachsen, gedeihen und neugierig die Welt entdecken. Und weil ich die vielen kleinen Freiheiten geniesse, die immer mehr Einzug halten in meinen persönlichen Alltag. Ich kann (meistens) wieder in Ruhe duschen, ich habe (ab und zu) wieder Zeit zum Lesen, für Yoga und Reiten. Die Nächte sind auch viel entspannter!
Trotzdem sitze ich nun hier auf dem Boden zwischen den kleinen Kleiderhaufen und die Tränen fliessen und fliessen, bis das Weinen in haltloses Schluchzen übergeht bei all den Erinnerungen, die sich plötzlich dicht an dicht aneinanderreihen. Wie die Kinder selig in eben jenem Schlafanzug auf meiner Schulter einschlafen und wie sie mit ihren ersten Schritten in dieser weichen Hose lachend in meine Arme rennen. Mir wird sehr bewusst, dass die Baby- und Kleinkindzeit irgendwann einfach vorbei ist und sie auch nicht mehr wiederkommt. Die Kinder werden nur noch grösser. Das Haus ist gerade so still ohne sie.
Ich schicke meiner Schwester ein Foto von den angehäuften Kleiderstapeln und frage: «Darf ich die Kleider für euer Baby aufbewahren?» Wie viel einfacher wäre es, die Kleider loszulassen im Wissen darum, dass sie noch einmal von einem von mir geliebten Kind getragen würden. Ich schreibe meiner Mutter, dass ich ihre Melancholie erstmals verstehe, die sie empfand, als wir Kinder nach und nach flügge wurden. Und dann antwortet meine Schwester auch schon: Sie übernimmt die aussortierten Kleider gerne. Das ist gut.
