
Hintergrund
Projekt Halbmarathon: «Höhentraining» und Hauptprobe beim Madrisa Trail
von Oliver Fischer
Das weltgrösste Laufevent erzielt neue Teilnehmer- und Spendenrekorde. Ich bin beim Wings for Life World Run mitgelaufen und habe schnell gemerkt, was ihn ausmacht: die Stimmung, das Format und das Gefühl, einen Beitrag zu leisten.
Kurz vor dem Start beginnt es zu regnen. Mein Digitec-Galaxus-Kollege Tim Busslinger und ich machen uns leicht fröstelnd auf in Richtung Startlinie. Gemeinsam mit mehreren tausend Läuferinnen und Läufern, Menschen im Rollstuhl und mit Gehhilfen – alle setzen sich in Bewegung.
Die Stimmung am Wings for Life World Run in Zug ist grossartig. Niemand jammert über das Wetter, mangelnde körperliche Fitness, das Ziehen im Knie oder andere vermeintliche Hindernisse. Unter den Startenden: Sportstars wie Triathletin Daniela Ryf, OL- und Trail-Weltklasseläuferin Judith Wyder, Beachvolleyballerin Anouk Vergé-Dépré und die Ski-Ausnahmetalente Marco Odermatt und Franjo von Allmen.
Noch eine Minute, dann geht's los. Gespräche, Lachen und keine Spur von der Anspannung, die sonst vor Volksläufen manchmal zu spüren ist. Dann ertönt das Startsignal. Nicht nur hier, sondern zeitgleich in 170 Ländern – von Südafrika bis zum Polarkreis. 310 719 Menschen mit 191 Nationalitäten setzten sich in Gang – eine globale Bewegung im wahrsten Sinne des Wortes.
In der Schweiz befinden wir uns mit der Startzeit von 13 Uhr in einer vergleichsweise komfortablen Lage. In Neuseeland ging es um 23 Uhr los, im kanadischen Vancouver um vier Uhr morgens.
Das Besondere an diesem Lauf: Es gibt keine fixe Ziellinie. Alle starten gemeinsam, doch jeder und jede läuft im eigenen Tempo. 30 Minuten nach dem Laufstart nimmt das Catcher Car, ein ambitionierter Besenwagen, die Verfolgung auf und steigert alle paar Kilometer die Geschwindigkeit.
Sobald das Auto dich einholt, ist das Rennen für dich gelaufen. Das stellt eine besondere Herausforderung dar: Willst du dem Verfolger möglichst lange entkommen, musst du dein Tempo und deine Kräfte genau einteilen. Und, wenn möglich, am Ende noch mal Gas geben. Das bringt zusätzlichen Spass und einen kleinen Adrenalinkick.
In diesem Race-Format können alle so weit und so schnell joggen, walken oder rollen, wie sie mögen. Von ein paar Kilometern bis zum neuen Streckenrekord von 71,67 Kilometern, den Jo Fukuda in Japan aufstellte und damit den Wings-for-Life-Run das dritte Mal gewann.
Bei den Frauen war es Esther Pfeiffer aus Deutschland, die sich mit 59,03 Kilometern in München den Sieg sicherte. Sie ist erst die zweite Frau in der 12-jährigen Geschichte des Rennens, die die 59-Kilometer-Marke knackte.
In der Schweiz gewannen Domen Hafner mit 60,47 Kilometern und Franziska Huwyler-Inauen mit 50,24 Kilometern. Witold Misztela (55,6 Kilometer) war der beste Rollstuhlfahrer.
Wer nicht an einen der organisierten Läufe kommen kann oder Massenveranstaltungen nicht mag, kann per App teilnehmen. Ich habe das vor zwei Jahren gemacht. Dabei kannst du einfach auf deiner Heimstrecke starten. Per App und über Laufkopfhörer bekommst du Updates, wie weit das Catcher Car noch entfernt ist und witzige Motivationssprüche. Zwischendurch sprechen immer wieder Menschen mit Rückenmarksverletzungen, die den Lauf unterstützen.
Für mich waren beide Male tolle Erlebnisse. Sowohl beim virtuellen Lauf als auch beim Flagship-Run in Zug fühle ich mich als Teil eines grossen Ganzen. Das motiviert mich am meisten: Einen kleinen Teil zu einer guten Sache beizutragen und mein Hobby mit etwas zu verbinden, das Menschen hilft. Denn die Startgelder fliessen nach Angaben der Organisatoren von Red Bull zu 100 Prozent in die Rückenmarksforschung.
Dieses Jahr kamen 8,6 Millionen Euro (8,04 Millionen Franken) zusammen, seit dem Start des Laufs 2014 sind es insgesamt 60,53 Millionen Euro (56,62 Millionen Franken). «Laufen für die, die nicht können», ist das Motto. Die Gelder kamen nach Angaben von Red Bull 324 Forschungsprojekten und klinischen Studien zugute.
Anders als bei Spenden per Mausklick geht es beim Wings for Life Event um die gemeinsame Anstrengung. Spitzenathletinnen wie Daniela Ryf sind genauso dabei wie Amateure und Rollstuhlsportlerinnen. Für alle geht es gleichermassen bergauf und bergab, für alle ziehen sich die Kilometer am Schluss in die Länge und für alle mischt sich der Regen ab einem bestimmten Punkt mit Schweiss.
Und doch ist es nicht dasselbe: Ich war beeindruckt von allen, die sich trotz ganz unterschiedlicher Voraussetzungen auf den Weg gemacht haben – egal, ob es sich um eine sichtbare oder unsichtbare Einschränkung handelt. «Für mich ist Laufen selbstverständlich, für andere ist es ein Traum. Genau deshalb bin ich heute hier in Zug», bringt es mein Kollege Tim Busslinger aus dem Category Management bei Digitec Galaxus auf den Punkt.
Regen, Wind und grauer Himmel: Während die Laufenden sich vielleicht über die nicht zu heissen Temperaturen freuten, war ich überrascht, wie viele Zuschauende an der Strecke ausharrten, selbst als der Regen stärker wurde. Familien, Nachbarschaftsgruppen, Bands und Alphornbläser sorgten für eine motivierende Atmosphäre. Hinter jeder Wegbiegung wartete eine kleine Überraschung: Sei es in Form von Verpflegungsstationen, die es alle fünf Kilometer gab, in Form von lauten Anfeuerungsrufen oder eben in Form von Musik.
Für mich steht fest: Das war nicht mein letzter Wings-for-Life-Lauf. Denn egal welche Ausreden mein Gehirn sich einfallen lässt (z.B. ich bin nicht fit genug, ich bin müde, etc.) – bei diesem Lauf gelten sie nicht.
Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.