
Cowboy Bebop: 10 Minuten entscheiden über Liebe oder Hass

Netflix' «Cowboy Bebop» ist ein Experiment. Die Serie verlangt von dir als Zuschauer viel, kann dir aber viel geben. Sie steht solide auf eigenen Beinen. Aber etwas Wichtiges ist bei der Anime-Adaption verloren gegangen.
Eine Gang raubt ein Casino aus. Der Lift fährt eine Etage tiefer. Der Gangster flucht über das System. Der Lift fährt eine Etage tiefer. Der Gangster hat eine Geisel. Der Lift fährt eine Etage tiefer. Der Gangster checkt, ob das Geld schon überwiesen ist. Der Lift ist da.
Die Türen öffnen sich.
Heraus tritt John Cho in der Rolle des Spike Spiegel.
Der Gangster brüllt Spike an. Der Held bleibt cool. Selbst als der Gangster die Waffe auf ihn richtet, sagt der Held der neuen Netflix-Serie «Cowboy Bebop» nur: «Ich will eigentlich nur etwas spielen».
Dann folgen mehrere Minuten Kampfszene.
Dann das Intro von Komponistin Yoko Kanno.
Es fehlt die Langsamkeit
Nicht nur in der Schweiz, Deutschland und in Österreich ist der Anime Kult. In den USA gehört «Cowboy Bebop» zu den Serien, die jungen Animefans als Pflichtstoff vorgesetzt wird. Diese setzen «Cowboy Bebop» dann neuen Jungen vor, die die Serie dann quasi weitervererben.
John Cho geht einen Schritt weiter. Er wagt es nicht nur, Spike und Co. in die reale Welt zu bringen, er interpretiert den Stoff komplett neu. Das zeigt ein Blick auf einige Szenen der ersten Folge vor dem Intro des Anime.
Rosen im Regen. Spike zieht an einer Zigarette. Standbilder. Sanfte Musik im Hintergrund. Kein Wort Dialog, kaum Bewegung. Nur der Regen, der auf Rosen in einer Pfütze prasselt.
Dann «Tank!» von Yoko Kanno.
Dazwischen Schiessereien, Schlägereien und Schwertkämpfe.
Da kann John Cho als Spike Spiegel noch so einen tollen Job leisten und zumindest die flapsige Art Spikes noch so gut spielen die Welt um ihn herum existiert höchstens als Fensterdekoration.
Genug Vergleich: Wie ist die neue Serie so?
Die 2021er-Serie muss aber auf eigenen Beinen stehen können. Im Idealfall soll sie eine Generation begeistern, genau wie das die Anime-Serie getan hat. Und da wagt «Cowboy Bebop» eine Gratwanderung, die mal besser, mal schlechter gelingt.
Die Rosen kommen gleich nach dem Intro, die Serie versucht die Langsamkeit nachzuahmen. Und es ist genau der Aspekt des Nachmachens plus der viele Lärm der Serie – irgendwas piept, schnarrt, scheppert oder redet immer –, der die Ruhe nicht so recht ruhig wirken lassen will.
Die Sets sehen fantastisch aus. Das Raumschiff mit dem Namen Bepop, auf dem unsere Serienhelden leben, sieht abgenutzt, durchlebt und heimelig aus. Ein bequemes Ledersofa auf einem abgewetzten Teppich auf kaltem Metallboden. Der Planet, auf dem die Crew der «Bebop» den Schmuggler Asimov jagt, ist eine eindeutige Anspielung auf Kuba, eben mit ein paar Raumschiffen. Auch das hat Charme.
Der Plot, der ziemlich genau derselbe wie in der Anime-Serie ist, zündet aber nicht so recht. Die Realserie trifft alle Noten, kann die visuellen Inspirationen nicht verneinen. Die Special Effects sind schön gemacht und wagen sich in recht abenteuerliches Territorium vor, wie zum Beispiel mit der rotgetünchten Egoperspektive. Trotzdem fühlt sich das alles abgekupfert und halbüberzeugend neuinterpretiert ein.
Dann der Schnitt: Die Dialoge sind schlagfertig und wären lustig, wenn da nicht zwischen den einzelnen Dialogzeilen eine Sekunde Ruhe wäre. Warum hat da niemand vorher geschnitten? So entsteht eine Art unangenehme Pause, vergleichbar mit der, wenn du eine Comedyserie ohne Gelächter aus dem Off siehst. Oder soll die Sekunde etwa die Langsamkeit sein?
Das stört dann am Ende der ersten Folge, wo Spike im Raumschiff seiner Beute nachjagt. Im Anime ist da Stille. Bei Netflix rumpelt alles. Und selbst wenn das Rumpeln aufhört, ist da dann ein Ambient Jazz Track. Warum?
Ein interessantes Experiment, das vielleicht gelungen ist
Nach der ersten Folge ist es Zeit, ein Fazit zu ziehen, denn für mehr reicht die Zeit bis Redaktionsschluss nicht. Es ist einfach, unendlich viele Kritikpunkte zu finden. Dann stünde hier ein Text über «Cowboy Bebop» der dich die Serie eher nicht anschauen lässt. Der Kritik gegenüber steht der visuell eindeutige Stil der Serie. Keine andere Serie sieht so aus wie «Cowboy Bebop».
So richtig gern mag ich «Cowboy Bebop» auf Netflix nicht. Aber hassen kann ich die Serie auch nicht. Sie ist visuell interessant, hat die Stories des Anime übernommen, neu zusammengemischt und der ganzen Welt eine eigene Identität aufgedrückt. Sie versinkt zwar im Lärm, trifft aber die Noten beim Soundtrack. Sie versucht, die Ruhe und die Langsamkeit zu finden, schafft das aber nicht.
Daher: Gib dir die ersten zehn Minuten vor dem Intro eine Chance. Entscheide dich da, ob du dich auf das Experiment einlassen willst. Ich bereue meine 50 Minuten «Cowboy Bebop» nicht, bin mir aber nicht sicher, ob ich die Serie mag.


Journalist. Author. Hacker. A storyteller searching for boundaries, secrets and taboos – putting the world to paper. Not because I can but because I can’t not.