Hintergrund

Ein Flop-Verlag oder warum wir nun 971 Bücher weniger im Sortiment haben

Seit KI allgegenwärtig ist, wird der Buchmarkt mit jeder Menge Mist geflutet. Erfundene Autoren und geschickt gewählte Titel reichen, um mit wenig Aufwand Kasse zu machen. Wie ich dem Flip Flop Verlag in die Falle getappt bin und warum der Name Programm ist.

Luisa Koch ist eine fleissige Frau. Sie schreibt Bücher wie andere Leute WhatsApp-Nachrichten. Alleine im Dezember 2024 erschienen über 20 Titel von ihr, ich habe aufgehört zu zählen. «Illustrierte Biografien» von Erling Haaland über JD Vance bis Bon Jovi, dazu Jahrbücher – einfach alles, was kurz vor Weihnachten als Verzweiflungsgeschenk im Warenkorb landen könnte. Fans hat sie auch, aber dazu später. Zunächst muss ich von meiner eigenen Dummheit erzählen.

Kauf wider besseren Wissens

Das Thema KI-generierte Bücher beschäftigt mich schon seit einiger Zeit. Ich weiss um das ausufernde Problem und habe diverse Artikel darüber gelesen. Ratgeber, Geschenk- und Kinderbücher versprechen oft viel und halten wenig. Das soll nicht heissen, dass alles, was mit KI gestaltet wird, automatisch schlecht ist. Schlecht ist aber, wenn den Kundinnen und Kunden vorgegaukelt wird, ein menschengemachtes Werk zu kaufen, das sich dann bestenfalls als lieblos und schlechtestenfalls als wertlos erweist. Das Buch, das ich neulich in den Warenkorb geschmissen habe, ist so ein Fall.

Das hätte ich nicht tun sollen. Ich meine den Kauf, hinter der Bewertung stehe ich.
Das hätte ich nicht tun sollen. Ich meine den Kauf, hinter der Bewertung stehe ich.
Quelle: Screenshot Galaxus

Ja, ich bin selbst schuld. Nachdem ich im Buchhandel war und keine Fussballer-Biografie gefunden habe, die als Leseanreiz für einen sportbegeisterten, zehnjährigen Lesemuffel dienen könnte, hätte ich es lassen sollen. Trotzdem bin ich irgendwann in die Falle getappt. Wie das so ist, kurz vor einem Fest auf der Suche nach Geschenken.

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Wir sind alle anfällig, wenn die Verzweiflung wächst und sich der Begleittext halbwegs ansprechend liest: «Die hochwertige Gestaltung macht es zu einem idealen Geschenk und Sammlerstück», versprach die «illustrierte Biografie». Zack, gekauft – und nie verschenkt.

Auch KI hat mal einen schlechten Tag

Als ich das Buch in der Hand halte, lege ich es schnell wieder weg. Ich blättere durch (Flip) und merke: es ist ein Flop. Nach einem kurzen Vorwort und fünf Zeilen zu «Herkunft und Eltern» kommt nicht mehr viel, was einen Viertklässler zum Lesen animieren könnte. Ich habe genug Zeit mit Recherchen in Bilddatenbanken verbracht, um zu erkennen, dass die Gestaltung einem sehr einfachen Prinzip folgt. Auf der rechten Seite ist das Foto, auf der linken die kurze Bildbeschreibung, welche die Fotografin oder der Fotograf dazu erfassen muss. Und nicht mal das klappt zuverlässig. Da steht zum Beispiel neben einem Foto von Yamal im Trikot des FC Barcelona: «Im Bild: Lamine Yamal 2023 während des Viertelfinales der UEFA U17-Europameisterschaft.»

Da der Verlag darauf hinweist, dass Bilder und Texte urheberrechtlich geschützt sind und nicht ohne schriftliche Genehmigung reproduziert werden dürfen, zeige ich dir einfach, wie 95 Prozent der Textseiten gestaltet sind. Das spielerische Element der schwarzen Linien wiederholt sich rechts unten auf der Seite. Die Bildzeilen der Agenturfotografien zu zitieren, riskiere ich einfach mal.
Da der Verlag darauf hinweist, dass Bilder und Texte urheberrechtlich geschützt sind und nicht ohne schriftliche Genehmigung reproduziert werden dürfen, zeige ich dir einfach, wie 95 Prozent der Textseiten gestaltet sind. Das spielerische Element der schwarzen Linien wiederholt sich rechts unten auf der Seite. Die Bildzeilen der Agenturfotografien zu zitieren, riskiere ich einfach mal.

Ab und zu sind noch vier Zeilen zum «Spielstil», «Stärken und Schwächen» oder ein Zitat aus einem Youtube-Interview eingestreut. That’s it. Da hat sich die KI (oder Luisa Koch) nicht überarbeitet. Immerhin hat sie das berühmte Foto eingefügt, das Lamine Yamal als Baby bei einem Werbeshooting mit Lionel Messi zeigt. Dieser ist damals 20 und kann mit Babys sichtbar schlechter umgehen als mit Bällen. Definitiv ist er weit davon entfernt, das zu tun, was in dieser illustren Biografie neben dem Bild steht: «Lionel Messi küsst den fünf Monate alten Lamine Yamal im Rahmen einer Solidaritätskampagne 2007.» Gedruckt und gebunden ist das Werk im Stile einer Bachelorarbeit, einseitig farbig, wieder was gespart.

Meine Anfrage versandet

Okay, reingelegt. Nicht richtig hingeguckt, um ein paar Franken abgezockt. Das kann ich sportlich nehmen. Denn formal stimmt ja alles: Ich habe eine illustrierte Biografie mit «grossformatigen Bildern» und «prägnanten Texten» bekommen und über die «hochwertige Gestaltung» lässt sich streiten. Bücher mit KI zu erstellen und unter einem Pseudonym zu veröffentlichen, ist nicht verboten, und die Impressumspflicht ist auch erfüllt.

Das weckt meinen Wunsch, mehr über den Verlag zu erfahren. Und da der Flip Flop Verlag unter einer Gmail-Adresse «für Fragen und Anregungen» erreichbar ist, stelle ich eine Medienanfrage. Ich möchte wissen, ob die Autorinnen und Autoren existieren. Ob die Bücher komplett KI-generiert sind oder worin der menschliche Beitrag besteht. Und ob on demand gedruckt wird, wenn eine Bestellung eingeht. Da die gesetzte Frist inzwischen längst verstrichen ist und niemand reagiert hat, muss ich davon ausgehen, dass es nichts richtigzustellen gibt – und mich selbst auf die Suche nach Antworten machen.

Spurensuche: Bin ich beim Flip Flop Verlag in die KI-Falle getappt?
Spurensuche: Bin ich beim Flip Flop Verlag in die KI-Falle getappt?

Der Flop-Verlag

Vielleicht hat Frau Koch, die Autorin, in liebevoller Kleinarbeit Bilder bei der Agentur ausgewählt. Die englischen Bildzeilen sorgsam übersetzt und im Vorweihnachtsstress das eine oder andere verwechselt. Sie musste ja auch noch über Eminem, Linkin Park und Amy Winehouse schreiben. Ich weiss es aufgrund des anhaltenden Schweigens nicht. Ich weiss nur, dass sie und ihre Kolleginnen und Kollegen produktiv sind. Es publizieren im Flip Flop Verlag auch noch Max Koch, Luca Koch, Müllers, Beckers, Schröders, Schulzes – das Who is Who der gängigsten deutschen Vornamen. Wie gesagt, Pseudonyme sind erlaubt und Fleiss ist kein Verbrechen.

Insgesamt waren am 7. August 2025 bei Galaxus 971 Produkte gelistet. Beifang, denn das Hauptaugenmerk von Flip Flop liegt auf Amazon. Und vermutlich findet dort auch der grösste Teil der Autorentätigkeit statt – in den Produktbewertungen. Da gibt es zum Beispiel Susanne, die die «schöne illustrierte Biografie» mit fünf Sternen belohnt und schlau genug ist, weitere von ihr verfasste Rezensionen auszublenden. Oder «Amazon Kunde», der ebenfalls fünf Sterne für ein «sehr spannendes Buch» vergibt und dumm genug ist, seine weiteren Rezensionen nicht auszublenden. Immer wieder werden die Bücher als Geschenk empfohlen.

«Amazon Kunde» ist ein echter Flip-Flop-Fan. Viele der Bücher gefallen auch Susanne.
«Amazon Kunde» ist ein echter Flip-Flop-Fan. Viele der Bücher gefallen auch Susanne.
Quelle: Screenshot Amazon

Vermutlich würde der Flip Flop Verlag gerne das Impressum in seinen Büchern ausblenden, aber dieses ist nun mal Pflicht und muss eine Adresse enthalten. Die genannte zeigt bei Google Street View ein Wohnhaus in München. Der Name zur Anschrift ist ebenso häufig wie jene, die als Autorinnen und Autoren angegeben werden. Allerdings hat ein Mann dieses Namens im selben Stadtteil die AiPublix GmbH registriert.

Erstellung von Büchern und einer Software, mit der die Bücher generiert werden können.
Eingetragener Unternehmenszweck der AiPublix GmbH

Gedruckt wird über die Zeitfracht Medien GmbH, die sich mit dem Markenzusatz Kolibri360 gerade weiterentwickelt: «Von einem klassischen Buchlogistiker hin zu einem agilen, branchenübergreifenden Dienstleister.» Hier können bestellte Titel innerhalb von zwei Stunden produziert und anschliessend versendet werden. Der Flip-Flop-Verlag liesse sich wohl problemlos von Strand aus betreiben. Kein Wunder, dass meine Anfrage versandet ist.

Das grosse Handbuch der Ausreden

Ich weiss nicht, ob ich anderen Titeln des Verlags Unrecht tue. Vielleicht ist «Sind Fürze Schuld am Klimawandel? Ein kritischer Blick auf die Klimadiskussion» brillant. Eventuell kann «Das grosse Handbuch der Ausreden für Schüler» echte Lebenshilfe bieten. Die Reihe «Was wir von [XY] lernen können» scheint jedenfalls ähnlich schlicht wie die «Illustrierten Biografien» aufgebaut zu sein. Links ein banaler Text, rechts eine bescheidene Grafik.

Diese Bücher habe ich nicht gelesen – und werde es auch nicht tun.
Diese Bücher habe ich nicht gelesen – und werde es auch nicht tun.
Quelle: Screenshot Galaxus

Die Asterix-Ausgabe wird bei Comedix so beschrieben: «Die Illustrationen erwecken den Eindruck, KI-generiert zu sein. Sie erinnern kaum an den typischen Asterix-Stil, variieren in der Machart und tragen fragwürdige Signaturen wie ‘Astetix’ oder gar gefälschte Varianten des Originals. Die optische Anlehnung an Asterix wirkt damit nicht nur plump, sondern auch rechtlich und künstlerisch fragwürdig.»

Warum gibt’s gab es das bei Galaxus?

Bei Galaxus gibt es fast alles für fast jede*n. Was die eine gut findet, hält der andere für Schrott – und manchmal sind Produkte halt wirklich nicht gut. Bei Millionen von Artikeln und vielen angeschlossenen Lieferanten, die wiederum selbst mit unterschiedlichen Unternehmen zusammenarbeiten, lässt sich das nicht vermeiden. Kein Mensch kann das alles kontrollieren.

Aber wir reden und schreiben darüber, wenn uns was auffällt. Und wir versuchen, die Dinge geradezurücken. Ich wende mich an die Kollegen aus dem Category Management, die nun dabei sind, die Titel des Verlags aus dem Sortiment zu entfernen. Damit du nicht in dieselbe Falle tappst wie ich. Weil irren menschlich ist, machen wir öffentlich, wenn wir selbst mal daneben gegriffen haben und gehen auch mit Hilfe der Community fragwürdigen Themen nach.

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Wann du bei Büchern misstrauisch werden solltest

Zum Schluss frage ich einen, der wissen müsste, wann KI im Spiel ist. ChatGPT druckst ein bisschen herum wie ein ertappter Schüler und will sich nicht eindeutig festlegen, als ich ihn mit Werken und Hinweisen zum Flip Flop Verlag füttere. Aber Chatty nennt ein paar Punkte, auf die du vor dem Kauf achten und im Zweifel die Finger von entsprechend auffälligen Büchern lassen solltest.

  • Fehlende Vorschau: Ansicht von Seiten (Look Inside) fehlt.
  • Generische Covers & Texte: Stil wirkt austauschbar, ohne persönliche Details oder emotionale Tiefe.
  • Ungewöhnlich hohe Veröffentlichungsrate: Manche Autorinnen und Autoren veröffentlichen mehrere Titel in schneller Abfolge – ungewöhnlich, wenn menschlich geschrieben.
  • Pseudonyme oder unbekannte Namen: Titel erscheinen unter Namen, die kaum recherchierbar sind oder generisch wirken.

Check! Check! Check! Check!

Die Punkte treffen in meinem Fall hundertprozentig zu und ich bin nicht stolz darauf, alle missachtet zu haben. Sollte sich der Verdacht in Bezug auf den Flip Flop Verlag widerlegen lassen, wirst du es hier erfahren – und ich werde Weltmeister im Zurückrudern. Bis zum Beweis des Gegenteils bleibt er für mich ein Flop.

Mich interessiert, ob (und mit welchen Titeln) du schon ähnliche Erfahrungen gemacht hast. Vielleicht können wir mit entsprechenden Warnungen in den Kommentaren die Bücherwelt ein kleines bisschen besser und menschlicher machen.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.

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