Hintergrund

First world problems: Wenn Kinder keine Wünsche mehr haben

Wenn Spielzeug langsam langweilig wird und Erwachsenenkram noch keine Option ist, stehen Eltern und Kinder vor einer ganz neuen Frage. Was tun, wenn die Wunschliste gähnend leer ist?

Es gibt einen Satz aus dem Mund meiner Kinder, der mich vor Geburtstagen zunehmend nervös macht: «Ich weiss nicht, was ich mir wünschen soll.» Früher konnte ich mich darauf verlassen, eine einigermassen realistische Liste mit grösseren und kleineren Wünschen zu bekommen. Die konnte ich auf die fragende Verwandtschaft und den Kindergeburtstag verteilen. Etwas Lego Ninjago hier, ein Puzzle dort, ein Tiptoi-Buch dazu und alle waren bedient.

Und jetzt: keine Wünsche mehr? Von Fest zu Fest fällt es ihnen zunehmend schwerer, auf eigene Ideen zu kommen.

Vor ein paar Jahren war es noch ganz einfach.
Vor ein paar Jahren war es noch ganz einfach.

Eigentlich ist das super. Kinder, die wunschlos glücklich sind. Und ganz ehrlich: Wie bei den meisten gibt es auch bei uns mehr als genug Kram im Kinderzimmer, der nicht mehr benutzt und mit ein wenig Glück noch auf dem nächsten Schulflohmarkt vertickt wird. Nichts Neues ist nicht schlecht, ich könnte sehr gut damit leben. Doch so einfach ist es nicht.

Nicht mehr Kind, noch nicht Teen

Denn ganz so glücklich sehen die wunschlosen Gesichter dann doch nicht aus. Eher ratlos und leicht besorgt. Die Vorfreude darauf, dass am Geburtstag neben dem Kuchen auch ein paar Geschenke auf dem Tisch liegen, verschwindet mit den fehlenden Wünschen ja nicht. Und für mich und andere Eltern steigt der Druck, sich etwas einfallen zu lassen. Denn dass die konkreten Wünsche weniger werden, beobachte ich nicht nur bei meinen Kindern. Es scheint auch eine Frage des Alters zu sein.

Geschenkpapier ist geduldig: Warten auf die passende Idee.
Geschenkpapier ist geduldig: Warten auf die passende Idee.

Wenn die Kerzen auf dem Kuchen langsam zweistellig werden, versiegen die Geschenkideen. Vorbei die Zeiten, in denen die Wunschlisten so üppig bestückt waren, dass sich einige davon erfüllen liessen und pädagogisch korrekt einige offen blieben. Die Erfahrung, dass man sich vieles wünschen, aber nicht alles bekommen kann, finde ich wichtig. Wenn die Erwartungen im Rahmen bleiben und die Freude überwiegt, kann Schenken allen Beteiligten Spass machen.

Hat es mir zumindest – solange ich wusste, wonach ich suchen soll. Mir hilft im Moment auch das grösste Sortiment kaum weiter. Im Gegenteil: Es frustriert mich. Durch die Spielzeug-Kategorie muss ich mich nicht mehr klicken. Die Bestseller dort sind längst schon mal irgendwann in einem unserer Schränke gewesen und nun verstaubt, verschenkt oder verkauft. Nichts ist so alt wie die Geschenkidee vom vergangenen Jahr, wenn die Kinder sich weiterentwickeln.

  • Hintergrund

    Von der Rückkehr der Zeit: grössere Kinder, grössere Freiheit

    von Michael Restin

Trotzdem spüre ich, dass die Freude über bunt verpackte Päckli auf dem Tisch eigentlich immer noch grösser wäre als über Gutscheine für Ausflüge oder andere Aktivitäten, die am Tag X höchstens Vorfreude wecken können. Das scheint etwa bis zum zwölften Lebensjahr so zu sein, wie dieser Fachartikel aufzeigt.

Vorfreude weiss man erst später zu schätzen

Kleinkinder ziehen Glücksgefühle aus handfesten Dingen. Es fehlt der Erinnerungsschatz und Vorfreude ist noch ein Fremdwort. Alles ist auf das Hier und Jetzt ausgerichtet. Kleinkinder sind schon von der Tatsache begeistert, dass sie das Papier zerfetzen können.

Dann werden die Wünsche spezifischer. Sie orientieren sich an Hobbys und dem, was die Kinder bei Kolleginnen und Kollegen sehen. Und irgendwann werden sie ziemlich rational. Nach dem Motto: Legt bitte alle zusammen, ich brauche ein neues Smartphone oder kaufe mir von dem Geld bei Bedarf was. Wir stecken gerade in einer Übergangsphase.

Wenn Spielzeug uninteressant wird, ist das ein Einschnitt.
Wenn Spielzeug uninteressant wird, ist das ein Einschnitt.

Damit Geschenke nicht einfach in Form von bunten Scheinen in die jugendliche Budgetplanung einfliessen, müssen Eltern sich was einfallen lassen und auch die eigene Motivation beim Schenken hinterfragen. Haken wir To-Do's ab? Oder machen wir uns die richtigen Gedanken?

«Wir versuchen, den Eltern die eigene Kompetenz zurückzugeben, indem wir das Bewusstsein schärfen, weshalb sie ihren Kindern etwas schenken», sagt der Neurobiologe und Buchautor Gerald Hüther im Interview mit dem Spiegel. Gute Frage. Warum schenken wir?

Was schenken wir unseren Kindern? (Deutsch, Gerald Hüther, André Stern, 2019)
Sachbücher

Was schenken wir unseren Kindern?

Deutsch, Gerald Hüther, André Stern, 2019

Klar, in erster Linie schenken wir, um Freude zu bereiten. Doch im Hinterkopf shoppt vielleicht auch die Angst mit, am Geburtstag in ein enttäuschtes Gesicht zu schauen. So gibt es zu Festen immer mehr Geschenke, obwohl die Kinder von der Fülle überfordert sind.

Die Folgen des gedankenlosen Schenkens: Wer mit Zeug statt Zuwendung überhäuft wird, spielt weniger vertieft und kreativ, entwickelt kein gesundes Selbstwertgefühl und neigt eher dazu, auch im Erwachsenenalter sein Glück im Konsum zu suchen.

Der Sinn des Schenkens

Mit vielen Sachen machen wir es uns leicht. Dann fällt ein Fehlgriff nicht so sehr ins Gewicht. Bewusst zu schenken bedeutet aber auch, ein wenig ins Risiko zu gehen und zu überraschen. «Aus der Haltung von Liebe und Verantwortung fallen Eltern leicht sinnvolle Geschenke ein», sagt Neurobiologe Hüther.

Es gehe darum, Bedürfnisse zu erkennen, die das Kind vielleicht selbst noch nicht erkannt hat. Und um gemeinsame Zeit. Dadurch kann im besten Fall nicht nur ein neues Hobby, sondern auch eine vertiefte Beziehung entstehen. So gesehen hat mein Kollege Philipp Rüegg alles richtig gemacht.

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    Ein Teleskop bringt mir die Sterne und meine Tochter näher

    von Philipp Rüegg

Bedürfnisse erkennen – das ist leichter in ein Buch geschrieben als getan, wenn sie nicht so offensichtlich sind. Oder wenn die Begehrlichkeiten langsam in die digitale Welt wandern und ich erst einmal erklären muss, dass es aus Liebe und Verantwortung sicher kein iPhone oder mehr Game-Zeit gibt.

Eine richtige Lösung für mein «Problem» habe ich nicht. Ich nehme nur den Gedanken mit, dass Geschenke etwas Verbindendes sein sollten. Und sich miteinander verbinden lassen, denn eins führt zum anderen: Das Teleskop steigert seinen Wert durch gemeinsame Abende. Ein neues Velo ist schön, zusammen auf Tour zu sein, ist schöner. Zum Tischtennis braucht es mindestens zwei. Die Beziehung ist der rote Faden, der alles zusammenhält und ein Geschenk zum Erlebnis macht.

Ich hoffe sehr, dass ich den Faden nicht verliere.
Ich hoffe sehr, dass ich den Faden nicht verliere.

Hast du mit deinen Kindern ähnliche Erfahrungen gemacht und wie seid ihr damit umgegangen? Seid ihr «wunschlos glücklich» geworden, habt ihr die Zahl Geschenke reduziert oder gemeinsam was Neues ausprobiert? Ich würde mich über deine Sicht der Dinge oder Ideen im Kommentarfeld freuen.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.

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