
Hintergrund
Dünne Kerzen: zarte Eleganz, die überrascht
von Pia Seidel

Weirdcore feiert das Schräge und Ungewöhnliche – eine Ästhetik, die von surrealen Bildern und digitalen Welten inspiriert ist. Der Stil erobert sogar Design und Kunst und bringt einen Hauch Magie in unseren Alltag.
Für mich sind Wohnaccessoires oder Möbel, die ich dem Weirdcore-Stil zuordne, auf die beste Art und Weise seltsam: Sie stehen für kreative Freiheit und den Mut, anders zu sein. Die Möbelmessen 2025 in Mailand, Paris und Kopenhagen haben gezeigt, wie spannend es ist, Konventionen zu brechen und neue Wege zu gehen.
Diese Werke – von Marmorgefässen, die an Sextoys erinnern, bis hin zu Möbeln, die wie schwebende Seifenblasen wirken – brechen mit allen Regeln und zeigen, wie viel Freude das Unkonventionelle machen kann. Sie bewegen sich gekonnt zwischen Kunst und Funktionalität, erzeugen visuelle Spannung und haben oft eine spielerische oder provokative Komponente, die zum Schmunzeln bringt.
Henry Baumann aus Berlin überlässt Design dem Zufall. Laut der Movimento Galerie, die ihn vertritt, entstehen die organischen Silhouette seiner «Boo»-Kollektion aus Harz-Blasen vielmehr durch äussere Einflüsse statt Strategie.


Der Künstler verwandelt scheinbar wertlose Materialien wie Erdbeerkisten, Kabeltrommeln und Harz intuitiv in einzigartige Objekte. Dabei verzichtet er auf Skizzen und lässt sich von den Eigenschaften der Materialien inspirieren. Fehler im Prozess sieht er als Chance, um neue Ideen zu entwickeln und Schönheit in Weggeworfenem zu entdecken.
Die «Broken Bench» sieht aus wie ein schwerer Betonblock, ist aber aus weichem Polyurethan gefertigt – ein Material, das das italienische Unternehmen Gufram zum Kult gemacht hat. Der Entwurf spielt mit Gegensätzen: rauer, industrieller Look trifft auf unerwartete Weichheit.

Die Bank wirkt wie ein fehlendes Stück aus dem «kaputten Spiegel», der ebenfalls Teil der «Broken»-Kollektion ist. Entstanden sind beide Objekte in Zusammenarbeit zwischen Gufram und dem New Yorker Studio Snarkitecture. Jedes Teil wird von Hand bearbeitet, wodurch kleine Unterschiede entstehen.
Wo Abfall zum Schatz wird: Die Französin Elise Fouin verwandelt Glasreste in Designkunst. Ihre neue Reihe «Tasses» basiert auf den Überbleibseln der Vase «Needles», die aus recyceltem Murano-Glas besteht. Fouin sagt: «Entstanden mit den Resten – und mit den Resten der Reste!».


Die Griffe der Tassen, kaum als solche erkennbar, erinnern an elegante Linien von Stadt- oder Berglandschaften. Sie machen jedes Gefäss zum Einzelstück und entstehen durch die Zusammenarbeit mit Vincent Breed, einem Meister des Glashandwerks, und der Verrerie Soufflée in Paris.
Richard Yasmine zeigt mit «Divine Decadence» eine Gefäss-Reihe, die Opulenz und Provokation feiert. Die Serie aus Vasen, Schalen und Kerzenhaltern kombiniert kühlen Marmor mit scharfen Edelstahl-Spikes und zarten, handgefertigten Jasminblüten aus doppeltem Seidenorganza. Yasmine nennt sie «die Frucht der Sünde» – ein Symbol für Verführung.




In jedem Stück befindet sich ein Stab aus schimmerndem Perlmutt, der nicht nur funktional ist, sondern bewusst an intime Objekte erinnert. «Divine Decadence» lädt dazu ein, Tabus zu hinterfragen, Schönheit im Unkonventionellen zu entdecken und die Grenzen zwischen Kunst, Design und Fetisch zu verschmelzen.
Glas wird hier zum Medium, um die Balance zwischen Fragilität und Stärke zu zeigen. Die in Italien handgefertigten Trinkgläser «Arsenico» von Studionotte, inspiriert von der weiblichen Figur, setzen ein klares Statement. Auffällige Details wie «nipple-like» Extrusionen am Stiel und Glasboden brechen mit klassischen Erwartungen.


Die Arbeiten waren Teil der Ausstellung «Glasslands» der Mailänder Marke Traga, die die Beziehung zwischen Glas und Mensch in den Fokus stellte. Glas verbindet hier Verletzlichkeit und Stärke, Intimität und Provokation – ein Material mit unbegrenzten Möglichkeiten.
Die Keramiklampen von Pani Jurek sind modular, minimalistisch und echte Unikate – mit einer Form, die irgendwo zwischen weird und faszinierend liegt. Sie werden aus weissem Ton handgefertigt und in 14 Farben glasiert – perfekt, um einem Raum Charakter zu verleihen. Das Studio beschreibt die Idee so: «Wir wollten die Beziehung zwischen Farbe und Licht zeigen – und die Schönheit von Keramik ins Rampenlicht rücken».

Jede Lampe wird in einem restaurierten historischen Gebäude in Polen gefertigt, wo Gestaltung, Handwerk und Experimentierfreude zusammentreffen. Von Tonmischen bis Glasieren wird jeder Schritt mit viel Leidenschaft ausgeführt.
Tara Dahlin, die Gründerin des schwedischen Studios Tada, macht mit ihrer «Sculptural Soap» neugierig. Das Waschstück aus afrikanischer Schwarzer Seife und Kiefernöl sieht etwas seltsam aus und fühlt sich auch so an. Ihre Spitzen massieren sanft die Hände und werden mit der Zeit weicher, kleiner – immer anders.


Tara sagt selbst: «Die Idee kam mir spontan – und danach musste ich erst mal ein Nickerchen machen. Es ist eine Skulptur, die sich ständig verändert. Vielleicht ein bisschen zu cool, deshalb das Nickerchen. Mit der Unterstützung meiner Freunde und meiner kleinen Community habe ich es dann umgesetzt.»
Mit der «Boo»-Kollektion zeigt der französische Designer Tim Leclabart, wie aufregend Möbel sein können. Klare Linien und kräftige Farben sorgen dafür, dass Stücke wie «Lady Boo» und «Duck Boo» sofort ins Auge fallen. Leclabart beschreibt seine Arbeit als eine neue, experimentelle Serie, die sich deutlich von seinen bisherigen Designs abhebt.

Es gibt noch so viele weitere spannende Ideen, die mit der Norm brechen und richtig Lust auf mehr machen. Aber das hebe ich für ein anderes Mal auf – stay tuned!
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.
Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.
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