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Hintergrund

Wie eine Anti-Porno-Kampagne auch unproblematische Spiele auf Steam bedroht

Debora Pape
31-7-2025

Es schlug hohe Wellen: Steam entfernte zahlreiche Spiele von der Plattform, itch.io zog nach. Schuld daran sind Finanzdienstleister, die offenbar Druck auf beide Portale ausüben.

Ohne große Ankündigung wirft Steam mehr als 150 Games und DLCs von der Plattform. Kurz darauf entfernt das kleinere Portal itch.io, auf dem vor allem Indie-Studios ihre Spiele anbieten, pauschal tausende Spiele mit dem NSFW-Tag (Not Suited For Work = Inhalte für Erwachsene). Die Folge: ein Aufschrei unter Entwicklerinnen und Entwicklern sowie bei der Spielerschaft. Die Rede ist von willkürlicher Zensur, chaotischer Kommunikation und undurchsichtigen Regeln.

Was steckt hinter den Massenlöschungen? Und wer setzt hier eigentlich wen unter Druck? Wenn du das Thema bisher nur am Rande mitbekommen hast, bist du hier richtig.

Vergewaltigungen als Spielinhalt

Im Frühjahr 2025 erschien das Game «No Mercy». Dessen einziger Spielinhalt ist es, die weiblichen Charaktere zu vergewaltigen. Das ist jenseits von geschmacklos und bewegt sich sicherlich im dunkelgrauen Bereich des Erlaubten auf Steam. Das Spiel stieß dementsprechend auf großen Protest und einige Länder, darunter Australien und Großbritannien, ließen das Game verbieten. Der Entwickler entfernte es daraufhin präventiv selbst von der Plattform.

Bei der Kampagne gegen «No Mercy» mischte eine australische, konservative Gruppierung mit: Collective Shout. Die Gruppe setzt sich gegen die Sexualisierung von sowie Gewalt an Frauen und Mädchen ein. In diesem Zusammenhang lehnt sie auch Pornografie, freizügige Werbung, selbstbestimmte Prostitution sowie diverse sexuelle Fetische ab.

2014 wollte die Gruppe beispielsweise Auftritte der US-amerikanischen Rapper Snoop Dog und Eminem in Australien verhindern, da deren Texte Gewalt gegen Frauen thematisieren.

Eine Anti-Porno-Kampagne richtet sich gegen das Playboy-Magazin.
Eine Anti-Porno-Kampagne richtet sich gegen das Playboy-Magazin.
Quelle: Collective Shout

Die Gründerin der Gruppe, Melinda Tankard Reist, veröffentlichte 2017 etwa einen Meinungsbeitrag gegen den BDSM-Roman «Fifty Shades of Grey». Ihr Hauptkritikpunkt: Die Darstellung sexualisierter Gewalt an Frauen werde verharmlost und romantisiert.

Collective Shout hatte bereits andere Spiele im Visier

Auch mit Videospielen hat sich Collective Shout bereits beschäftigt. 2014 startete die Gruppe eine Kampagne gegen «GTA V», ein Spiel, das allgemein nicht zimperlich mit Mensch und Tier umgeht. In der dazugehörigen Petition heißt es, «GTA V» ermutige Spieler, Frauen nur zur Unterhaltung zu ermorden. Das ist zwar haltlos, dennoch hatte die Kampagne Erfolg. Eine australische Kaufhauskette nahm das Game daraufhin aus dem Angebot.

«GTA 5» ermöglicht Gewalt – aber gegen alle.
«GTA 5» ermöglicht Gewalt – aber gegen alle.
Quelle: Rockstar Games

2018 folgte eine Twitter-Kampagne gegen das Game «Detroit: Become Human». Ich kann den Original-Tweet nicht sehen. In einem Bericht auf Kotaku ist er aber abgebildet und die sichtbaren User-Reaktionen darauf unterstreichen dessen Echtheit. In «Detroit: Become Human» ist in einigen Szenen Gewalt gegen ein Kind und einen weiblichen Haushaltsroboter zu sehen. Sie wird jedoch weder durch den Spieler ausgeführt, noch in irgendeiner Form verherrlicht – ganz im Gegenteil. Die gesamte Sequenz ist hier zu sehen:

Nach «No Mercy»: Weitere Spiele kommen an den Pranger

Im Nachgang an die «No Mercy»-Kontroverse schreibt Collective Shout am 11. Juli einen offenen Brief an die Geschäftsführer diverser Zahlungsanbieter: «Hunderte andere Spiele auf Steam und Itch.io beinhalteten Vergewaltigung, Inzest und sexuellen Kindesmissbrauch.»

Wer beobachtet, was für Spiele auf Steam täglich online gehen, weiß, dass es unzweifelhaft keinen Mangel an pornografischen Games gibt. Die Bandbreite dieser Spiele reicht von interaktiven Pornos bis hin zu grenzwertigen oder klar grenzüberschreitenden Fetisch-Games. Dafür gibt es offenbar genügend Abnehmer. Der großen Masse der Gamer bleiben sie jedoch in der Regel verborgen. Steam selbst griff hier bislang nur dann ein, wenn Spiele als missbräuchlich gemeldet wurden.

Freizügige Games wie dieses bieten wenig Handlung, dafür «heiße und spaßige Hack-and-Slash-Action».
Freizügige Games wie dieses bieten wenig Handlung, dafür «heiße und spaßige Hack-and-Slash-Action».
Quelle: «Tough Bikini 6»

Collective Shout veröffentlicht selbst keine Liste von Spielen, die ihrer Meinung nach problematische Inhalte enthalten. Die Gruppierung macht eher Druck auf einer anderen Ebene: Es sei unverständlich, dass die genannten Zahlungsanbieter – darunter Paypal, Visa und Mastercard – mit unethischen und gewalttätigen Spielen Gewinne erwirtschaften.

Gerichtsurteil: Zahlungsanbieter haben einen wunden Punkt

Laut eigenen Angaben habe sich die Gruppe schon mehrfach zuvor wegen dieser Spiele an Steam gewandt. Sie sei jedoch bislang ignoriert worden. Mit Unternehmen wie Visa & Co. hat sie jetzt jedoch einen einflussreichen Hebel gefunden. Denn über die Zahlungsdienstleister wickeln die Spieleplattformen sämtliche Käufe ab. Ohne sie können die Plattformen faktisch nicht operieren.

Bei den Zahlungsanbietern wiederum trifft Collective Shout einen empfindlichen Nerv: Ein kalifornisches Gericht urteilte 2022, dass Visa mitverantwortlich gemacht werden kann, wenn das Unternehmen Zahlungen auf Plattformen ermöglicht, die potenziell illegale Inhalte verbreiten. Geklagt hatte eine Frau, die als Minderjährige in einem nicht-einvernehmlichen Video auf der Porno-Plattform Pornhub zu sehen war.

Das bedeutet: Zahlungsanbieter stehen theoretisch in der Pflicht, sämtliche Angebote ihrer Partnerplattformen auf mögliche Rechtsverstöße zu prüfen. Collective Shout gab durch den offenen Brief genügend Anlass zur Annahme, dass auf Steam und itch.io möglicherweise illegale Inhalte erhältlich sind.

Die einfachste Möglichkeit, um rechtliche Risiken zu vermeiden: potenziell problematische Inhalte konsequent von den Plattformen entfernen. Und genau das ist hier passiert. Steam setzte das über eine neue Richtlinie für Spieleanbieter um.

Steam führt neue Regel ein und gibt Verantwortung ab

Wenn du ein Spiel auf Steam anbieten möchtest, musst du dich an die inhaltlichen Richtlinien der Plattform halten. Dein Spiel darf zum Beispiel keinen Hass, Gewalt oder Diskriminierung fördern. Kindesmisshandlung «jeglicher Art» ist nicht erlaubt. Sexuelle Inhalte müssen entsprechend gekennzeichnet sein. Bekannte Personen dürfen nicht nackt dargestellt oder bei expliziten Handlungen gezeigt werden.

Die Regeln ließen bislang genügend Schlupflöcher für die vielen Schmuddel-Spielchen. Auch «Detroit: Become Human» ist trotz Kindesmisshandlung weiterhin auf Steam verfügbar. Steam ließ also mit sich diskutieren.

Durch eine zusätzliche neue Richtlinie, die ohne öffentliche Ankündigung in den Regeln erschien, entzieht sich Steam nun allerdings der Verantwortung. Sie besagt, dass Inhalte nicht erlaubt sind, die «möglicherweise gegen die Richtlinien und Standards verstoßen, die von Steam-zugehörigen Zahlungsabwicklern, verwandten Kartennetzwerken und Banken oder Internetverbindungsanbietern festgelegt wurden. Insbesondere bestimmte Arten von nicht jugendfreien Inhalten».

Die 15. Regel kam neu zu den Steam-Richtlinien hinzu.
Die 15. Regel kam neu zu den Steam-Richtlinien hinzu.
Quelle: Steam

Das bedeutet: Spieleanbieter müssen sich nicht nur mit den Richtlinien von Steam auseinandersetzen, sondern auch mit denen der Zahlungsanbieter auf Steam. Das ist bürokratisch und realitätsfern. Und noch schlimmer: Die Zahlungsabwickler erhalten dadurch das Recht zur Mitbestimmung über die auf Steam angebotenen Spiele.

Auf Grundlage dieser neuen Regel konnte Steam weit über hundert Spiele von der Plattform nehmen. Steam gibt den Druck durch die Zahlungsanbieter zu.

Zahlungsabwickler können bestimmen, was jugendfrei ist

Der Zusatz «bestimmte Arten von nicht jugendfreien Inhalten» ist zudem schwammig und offenbar bewusst offen formuliert. Je nach Stimmung in den USA könnten die Zahlungsabwickler zum Beispiel auch queere Themen als «nicht jugendfrei» deklarieren. Dahinter stehen ökonomische Interessen – dass Unternehmen auf den Druck konservativer Kräfte reagieren und entsprechende Diversitätsprogramme einstellen, ist real.

Ein Kuss zwischen zwei jungen Frauen – wie etwa in dem storygetriebenen Abenteuerspiel «Life is strange» – könnte daher schon problematisch werden. Und das lässt sich auf fast beliebige Themenbereiche ausdehnen. Fakt ist: Lehnen Drittanbieter wie Zahlungsdienste Inhalte aus ökonomischen Gründen ab, verstoßen die betroffenen Spiele automatisch gegen die Steam-Richtlinien – und können daraufhin entfernt werden.

In «Life is strange» kannst du dich entscheiden, deinen Charakter ihre beste Freundin küssen zu lassen.
In «Life is strange» kannst du dich entscheiden, deinen Charakter ihre beste Freundin küssen zu lassen.
Quelle: «Life is strange»

Es wäre ein fatales Signal, emotional packende Games mit komplexen Hintergründen wie «Life is strange» oder «Detroit: Become human» als problematisch zu behandeln oder das auch nur anzudrohen. Studios könnten ihre Einnahmequellen verlieren, ohne gegen geltende Gesetze zu verstoßen. Oder sie könnten, um jeglichen möglichen Problemen vorzubeugen, nur noch «Cozy»-Games ohne komplexe Tiefe entwickeln.

Steam hat mit der neuen Richtlinie die kreative Freiheit der Entwicklerstudios geopfert, statt seiner eigenen Prüfungspflicht nachzukommen. Das ist ein Rückschlag für die Darstellung sensibler Themen in Games.

itch.io bannt alles mit dem NSFW-Tag

Hart greift auch itch.io durch: Auf der Plattform wurden pauschal alle Spiele entfernt, die als Content für Erwachsene gekennzeichnet sind. In einem Statement erklärt das Unternehmen seinen Schritt: «Damit wir weiterbestehen und allen Entwicklern einen Marktplatz bereitstellen können, müssen wir unsere Beziehung zu unseren Zahlungspartnern priorisieren und sofort handeln, um zu einer Einigung zu kommen».

Möglicherweise werden die Einschränkungen nach genaueren Prüfungen wieder gelockert. Wie die Prüfung bei möglicherweise tausenden Kandidaten vonstattengehen soll, ist momentan noch unklar. Derzeit stellt das Portal wegen einiger weniger eventuell vorhandener schwarzer Schafe alle NSFW-Games unter Generalverdacht und zahlreiche Entwickler verlieren ihre Einkommensquellen.

Der offene Brief von Collective Shout hatte also eine große Wirkung, die noch gar nicht vollständig abzusehen ist.

Titelbild: Shutterstock/Casimiro PT

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Fühlt sich vor dem Gaming-PC genauso zu Hause wie in der Hängematte im Garten. Mag unter anderem das römische Kaiserreich, Containerschiffe und Science-Fiction-Bücher. Spürt vor allem News aus dem IT-Bereich und Smart Things auf.

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