

Apple iPad Pro 2021: Sag mir, was willst du sein!

Mini-LED ist nicht das beste, was das neue iPad Pro zu bieten hat. Die Stärken des Geräts liegen anderswo. Vor allem aber zeigt Apple das massive Potenzial des Konzepts Tablet.
Das iPad Pro 2021 habe einen Bildschirm, der der Leinwand im Kino Konkurrenz mache, heisst es überall. Aber nach einem Langzeittest des neuen Flaggschiffs der Tablet-Welt lässt sich sagen: Der Bildschirm ist nicht das Beste am Gerät.
Der beste Aspekt des iPad 2021 ist etwas, das du nie sehen wirst. Etwas, von dem kaum jemand redet, auch Apple nicht. Da stellt sich mir die Frage: Apple, warum habt ihr das uns nicht gesagt?
Aber bevor wir zur Lobhudelei und zur harten und dann pingeligen Kritik kommen, einige Eckdaten.
About this Test
Daher sieht meine iPad'sche Einkaufsliste so aus:
Dann empfehle ich dir, einfach nur weil so der Touch Screen gut genutzt wird, den Apple Pencil. Den brauchst du nicht, aber im Verlauf der Arbeit mit dem iPad hat die scharfe Spitze des Pencils gerade bei Präzisionsarbeit viel geholfen.
Damit aber zeigt sich schon eine erste Erkenntnis: Das iPad Pro ist kein Gerät, dass du dir einfach mal so kaufst, weil «vielleicht ist es ja nützlich». Für den Preis ist das iPad Pro eine bewusste Entscheidung. Sprich: Du weisst, wofür du es brauchst und wie du es einsetzen willst, bevor du so viel Geld liegen lässt. Für die «Ach, so bitzli Youtube auf dem WC»-Leute gibt es günstigere Alternativen. Das iPad Air, zum Beispiel.
Das iPad hat Gewichtsprobleme
Nach dem Zusammensetzen der Hardware fällt mir auf: Das Teil ist schwer. Vor allem im Vergleich zum Gegner aus dem gleichen Haus, dem Macbook Pro mit Apple Silicon. Oder auch im Vergleich mit der Grossmutter des aktuellen iPads, dem iPad Pro 2019 mit Tastatur.
Also, auf die Waage mit den Geräten.
Gewicht iPad Pro 2021 plus Zubehör
iPad Pro 2021 12.9" 681g
Apple Magic Keyboard 699g
Apple Pencil 18g
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Total 1398g
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Gewicht Macbook Pro 2020 13.30"
Apple Macbook Pro 2020 13.30" 1398g
Folie 3M 1080 - 10g
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Total 1388g
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Gewicht iPad Pro 2019 mit Zubehör
Eine kurze Anmerkung zum Magic Keyboard: Das Gewicht des Keyboards unterscheidet sich vom Gewicht in der Messung der 2021er-Version, da ich dort die aktualisierte Hardware verwendet habe. Diese ist steifer und hat einen USB-C-Anschluss.
iPad Pro 2019 12.9" 629g
Apple Magic Keyboard 405g
Apple Pencil 18g
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Total 1052g
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Wenn es um Nützlichkeit und Portabilität geht, hat das Macbook die Nase vorn. Es ist nur minimal schwerer, dafür macht das Macbook in meinem Alltag all das richtig, was das iPad verhaut. Dazu aber gleich mehr.
Der Ton, nicht das Bild
Das Setup geht schnell. Alles Zubehör kannst du nur auf eine Art zusammenstecken, und der eine Knopf zum Einschalten ist genau dort, wo du ihn erwarten würdest. Es wäre dann jetzt der Zeitpunkt, an dem ich das Kinoerlebnis des Mini-LED-Bildschirms des iPads entdecken würde, wie Marketinggeschwurbel von wegen «Entdecke das Erlebnis» mir das weismachen will.
Das «Erlebnis» bleibt aus. Bei mir zumindest.
Der Wow-Effekt setzt ein, wenn ich ein Video ansehe. Oder noch besser: Apple Music mit dem neuen Apple'schen Lossless Codec ALAC nutze.
Der Ton des iPads ist das, womit Apple Werbung machen sollte. Denn der ist nicht nur gut, der ist sehr gut. Egal, ob Podcast, Spotify, Apple Music oder Youtube, das iPad klingt fantastisch. Wenn du Geld zur freien Verfügung hast und «Bitzli Youtube auf dem WC» oder wie in meinem Falle «Youtube auf dem Balkon» haben willst, voilà.
Die Speaker des iPads sind so gut, dass du dir locker einen externen Speaker sparen kannst. Die UE Boom in der Küche? Weg damit. Stell das iPad hin, dreh auf und gut ist. Das iPad liefert satte Bässe – erstaunlicherweise – und klare Höhen. Nichts scheppert, nichts überschlägt, nichts klirrt.
Ganz gute Arbeit, Apple. Und überraschend. Wenn du das mal ausprobieren willst, geh in einen beliebigen Laden, der Apple-Geräte verkauft und ruf ein Youtube-Video auf. Es lohnt sich.
Schwachpunkt Software
Soweit klingt also alles gut. Du hast einen guten Touchscreen, umwerfenden Sound, eine gut funktionierende Tastatur und einen Stylus, der dich bei Präzisionsaufgaben unterstützt. Dazu hast du Hardware, die massiv Power liefert. Denn das iPad läuft, wie mein Macbook auch, auf Apples M1 System-on-a-Chip (SoC). Der Apple M1 war schon drüben bei den Macbooks ein Quantensprung und liefert Performance, an die kein Laptop rankommt.
Damit solltest du also schneller, besser, effizienter arbeiten können als mit einem Macbook. Es gibt sogar Journalisten, die ihr Laptop durch ein iPad ersetzt haben sollen. Ich bin keiner davon.
Klar, die rohe Power des iPads würde locker ausreichen, um all meine Aufgaben in Rekordzeit zu meistern. Und ja, inklusive Videoschnitt in 4K-Auflösung mit 60 Frames pro Sekunde. Die M1-Architektur rendert das fast in Echtzeit. Sogar die Videokamera hinten liefert gutes Bildmaterial. Im Wesentlichen hätte ich ein voll funktionierendes Filmstudio, wenn ich zusätzlich noch ein Stativ kaufe.
Was es aber kann: Meetings. Wir arbeiten mit Microsoft Teams. Das geht gut, solange ich keine Messages schreiben muss. Speaker mehr als nur ordentlich, Mikrofon ziemlich gut, aber die Selfie-Cam … die ist irgendwie seltsam.
Merkwürdigkeiten der Hardware
Apple ist immer so stolz auf ihren Perfektionismus. Und der funktioniert auch so ziemlich immer. Nur beim iPad sind den Damen und Herren aus Cupertino ganz seltsame Dinge passiert.
Die Sache mit der Selfie-Cam
Wenn ich in einem Microsoft Teams Meeting sitze, dann habe ich das iPad ans Magic Keyboard angedockt. Also so:
Jetzt ist die Kamera aber hier:
Das führt zu einem recht seltsamen Blickwinkel im Meeting. Mich stört das wenig, aber wenn du im Meeting mit mir wärst, dann würde das irgendwie seltsam wirken. Ich könnte das iPad um 90 Grad drehen, damit die Kamera oben wäre, aber dann könnte ich nichts mehr tippen oder im Hintergrund Informationen aufrufen, da die Tastatur verdreht ist.
Die Lösung wäre einfach: Kamera in die Mitte einer Längsseite verlegen. Denn wenn das iPad dem Macbook Konkurrenz machen soll oder sogar das Laptop ersetzen soll, dann reden wir nicht mehr von einem Gerät, das vornehmlich in der Vertikalen verwendet wird, sondern in der Horizontalen. Dem muss die Hardware Rechnung tragen.
Lauter? Leiser? Beides. Gleichzeitig.
Ein weiteres Problem der horizontalen oder eben vertikalen Verwendung: Wenn ich das iPad auf dem Magic Keyboard befestige und dann die Lautstärke hochdrehe. Das passiert mir bei den Speakern oft.
Die zwei Knöpfe zur Lautstärkenregulierung sind oben links. Also so:
Wenn ich auf «lauter» drücke, dann drücke ich den linken Knopf, also den hier:
Auf dem Bildschirm taucht der Indikator auf, der mir anzeigt, wie laut das ist. Der bewegt sich, wenn ich lauter und leiser stelle.
Ich drücke den linken Knopf, um lauter zu machen und der Indikator geht nach rechts. Klar, das ist Meckern auf hohem Niveau und ein Detail, das keinerlei Einfluss auf die Benutzung hat. Aber Apple ist Perfektionist, und das ist nicht perfekt.
Fazit – und der Blick nach vorn
Das iPad ist im Moment in einer etwas seltsamen Phase. Es ist weder Fisch noch Vogel. Es bricht hardwareseitig aus der Tablet-Gurkigkeit aus und liefert Specs, die mit dem Macbook konkurrenzieren. Softwareseitig dümpelt iPadOS hinterher. Auch Multi Window Support macht aus iPadOS nicht ein vollwertiges Betriebssystem für Desktop. iPadOS zeigt noch zu klar, wo seine Wurzeln liegen und ein Tablet mit Macbook Specs verdient mehr. Nutzer sollen mehr bekommen.
Und: Wie hält der User das iPad nun richtig? Horizontal oder vertikal? Die Hardware sollte dem Rechnung tragen.
Bis klar ist, was das iPad sein soll oder sein will, wird es in dieser Zwischenphase existieren. Es ist klar, dass es massiv Power hat, gut verarbeitet ist und schier unendliche Möglichkeiten bietet. Aber die sind noch nicht ganz da. Noch nicht.


Journalist. Auteur. Hacker. Ik ben een verhalenverteller op zoek naar grenzen, geheimen en taboes. Ik documenteer de wereld in zwart-wit. Niet omdat ik het kan, maar omdat ik het niet kan laten.