
Kritik
«Andor» Staffel 2: das Wichtigste, was «Star Wars» je hervorgebracht hat
von Luca Fontana
Als mitten in «Andor» jemand erstmals das Wort «Genozid» ausspricht, zeigt «Star Wars», wie Wahrheit systematisch zerstört wird – und warum das mehr über unsere Welt erzählt als über eine weit, weit entfernte Galaxis.
Achtung: Dies ist ein Meinungsbeitrag mit Spoilern zu den Folgen sieben, acht und neun der zweiten Staffel von «Andor».
Schon in meinem spoilerfreien Review zur Serie hatte ich das Imperium als «kalte Bürokratie der Auslöschung» beschrieben. Ich schrieb von der «Rebellion in der Marke». Und davon, dass «Andor» sich nicht einfach wie ein exzellenter Genrebeitrag anfühlt, sondern vielmehr wie das Wichtigste, was das «Star Wars»-Universum je hervorgebracht hat.
Damals durfte ich es nicht aussprechen. Nur andeuten, was «Andor» wirklich wagt. Jetzt – mit der Veröffentlichung von Folge acht und neun, zwei der zehn höchstbewerteten Folgen der Fernsehgeschichte auf IMDB – ist der Moment gekommen, Klartext zu reden.
Der Platz vibriert. Menschen stehen dicht an dicht, gehüllt in die Farben Ghormans – oder das, was davon übrig ist. Ihre Stimmen sind erst Murmeln, dann Rufe, dann ein Chor. «Wir sind die Ghor!»
Die Hauptstadt des Planeten erinnert an Paris, irgendwo zwischen Belle Époque und Nachkriegszeit. Ihre Sprache, weich und musikalisch, klingt wie Französisch – nur gebrochen von der Angst, dass dies ihr letzter Tag sein könnte. Denn was wie ein Aufstand aussieht, ist ein Hilfeschrei. «Wir werden abgeschlachtet! Ist denn niemand da draussen, der uns helfen kann?», wird der Ghorman-Widerstand später verzweifelt über den freien Funk an die Galaxis senden.
Antworten wird niemand. Ghormans Untergang ist präzise organisiert worden – ein Pulverfass, vom Imperium vorbereitet, um es im richtigen Moment medienwirksam explodieren zu lassen.
Draussen auf dem Platz beginnt ein Mann zu singen – allein, zittrig. Die Hymne Ghormans. Seine Stimme trägt nicht weit im Tumult, aber sie reicht. Ein Zweiter stimmt ein. Dann ein Dritter. Und plötzlich hebt die Menge an wie ein einziger grosser Klangkörper, der sich gegen die Unterdrückung des faschistischen Systems und das Schweigen der Kernwelten stemmt.
Die Korrespondenten aus Coruscant sprechen währenddessen von einem «gravierenden Sicherheitsrisiko». Vom «Versagen der lokalen Ordnungskräfte». Und vom «Aufbegehren gegen den Frieden», das es niederzuschlagen gilt. Was die Reporter der Galaxis, die zuschaut, nicht sagen: Hier wird kein unprovozierter Aufstand geprobt. Hier findet ein Massaker an der Bevölkerung statt, um die Ressourcen des Planeten im Anschluss widerstandslos ausbeuten zu können.
Genozid.
Und niemanden interessiert’s.
«Andor» ist eine Serie, die sich nicht nur traut, systemkritisch zu sein, ohne moralisch zu predigen. Sie greift auch tief in die politische Wirklichkeit unserer realen Welt. Denn was wir auf Ghorman sehen, ist kein Unfall. Es ist ein Exempel. Ein systematischer, militärisch durchgeplanter Angriff auf eine ganze Bevölkerung. Und das Perfideste daran: Er folgt den Regeln. Er wird in Akten vermerkt, von Offizieren diskutiert, von Politikern relativiert – die besagte «kalte Bürokratie der Auslöschung».
Schlimmer noch: Die Zahl der Toten ist bekannt. Der Genozid geschieht im grellen Licht eines Tages, an dem alle Kameras auf die Täter gerichtet sind – und doch greift niemand ein. Als wäre da eine Explosion, die zwar erschüttert, deren Echo aber niemand hören will. Warum? Weil das Imperium zuvor Misstrauen gesät hat. Angst vor den angeblich andersdenkenden Ghor. Emotionen, die stark genug sind, damit eine verängstigte Öffentlichkeit über Kontroll- und Überwachungsmassnahmen hinwegsieht, die sie unter anderen Umständen nie akzeptieren würde.
Klingt vertraut, nicht wahr?
«Andor» inszeniert diesen Kipppunkt mit chirurgischer Präzision, ohne sich gezielt auf einen einzigen realen Konflikt oder eine echte Regierung zu beziehen. Vielmehr geht’s um Mechanismen, die wir aus der Geschichte kennen und die wir heute an vielen Orten wieder beobachten können: systematische Auslöschung, autoritäre Tendenzen, Populismus, Informationskontrolle, Propaganda, Einschüchterung. Nicht nur in Russland, dem Nahen Osten oder Amerika. Überall. Auch in Europa und Asien.
Tatsächlich hat Tony Gilroy, der Mann, der für «Andor» verantwortlich ist, nie behauptet, dass seine Serie über etwas oder jemanden Bestimmtes spricht. Aber sehr wohl, dass es von vielen Wahrheiten handelt, die auf der ganzen Welt passieren oder passiert sind. Und genau das macht «Andor» – gerade heute – so unheimlich wertvoll.
Denn «Andor» nutzt Science-Fiction nicht zur Flucht, sondern zur Konfrontation. Es geht nicht darum, uns in eine weit, weit entfernte Galaxis zu entführen. Es geht darum, uns einen Spiegel vorzuhalten – in dem wir Dinge sehen, die wir oft lieber ignorieren. Eine Welt, in der Informationskontrolle zur Waffe geworden ist. In der die Wahrheit verformt, verschwiegen oder ausgelöscht wird. Und in der Schweigen oft das grösste Verbrechen ist.
Am eindrücklichsten zeigt das die Rede, die Senatorin Mon Mothma im Anschluss an das vom Imperium verübte Ghorman-Massaker im Senat hält. Eine Anklage gegen das System – gegen Palpatine selbst.
«Von all den Dingen, die auf dem Spiel stehen, ist der Verlust der objektiven Realität vielleicht das Gefährlichste», sagt sie. «Der Tod der Wahrheit ist der grösste Triumph des Bösen. Denn wenn die Wahrheit uns verlässt – wenn wir sie entgleiten lassen, wenn sie uns entrissen wird –, dann werden wir angreifbar für das Verlangen des Monsters, das am lautesten schreit.»
Phuh.
Das ist kein märchenhaftes Science-Fiction-Abenteuer mehr. Das ist Kommentar, Gegenwartsliteratur und Historik zugleich. Man könnte die Geschichte von «Andor» an jedem beliebigen Punkt der letzten 6000 Jahre erzählen – und sie würde für die Menschen, die dann gelebt haben, vieles von dem beschreiben, was sie gerade erleben. So universell ist sie.
Das ist es, was Gilroy hier geschaffen hat. Keine blosse Allegorie, sondern ein Mahnmal. Ein Erinnern. An die Wannsee-Konferenz. An den Tonkin-Zwischenfall. An die verbrannten Wahrheiten nach dem Reichstagsbrand. Wer die Macht hat, schreibt die Geschichte, erinnert uns Tony Gilroy.
Und «Andor» macht sichtbar, wie perfide diese Macht mit der Wirklichkeit umgeht.
So ist der Moment, in dem Mon Mothma laut und anklagend «Genozid!» schreit, kein Zufall. Es ist ein Tabubruch. Auch für Disney. Die «Rebellion in der Marke». Eine, die nicht nur die anderen Senatoren empört aufschreien lässt, sondern vermutlich auch so manchen «Star Wars»-Fan, der seine Galaxis lieber unpolitisch hätte.
Darauf pfeift Gilroy. In diesem Moment macht er aus «Andor» mehr als ein Spin-off, eine Prestige-Serie oder einen Politthriller mit «Star Wars»-Logo. Es ist ein Weckruf. Einer, der vibriert wie der Platz auf Ghorman. Der singt, bevor empörte Fans nach Schweigen verlangen. Und der uns zeigt, wie gut dieses Universum sein kann – wenn es endlich den Mut hat, wahrhaftig zu sein.
So gut war «Star Wars» noch nie. Und darf es vielleicht auch nie wieder sein. Aber so sieht es aus, wenn Unterhaltung nicht nur unterhält, sondern auch Verantwortung übernimmt.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»